Warum wir uns mit dem Phänomen „Reviktimisierung“ beschäftigen sollten

Greta Pomberger

15/02/2024

Bild zum Blogeintrag für Februar 2024.

Wenn eine Person Opfer einer Gewalttat wird, dann ist dies ein einschneidendes, gar lebensveränderndes Ereignis. Das Opfer hat keinerlei Schuld daran, muss aber dennoch gezwungenermaßen Verantwortung nach einer solchen Erfahrung übernehmen. Sei es Verantwortung für die Mitwirkung der strafrechtlichen Verfolgung der Tat, oder für das weitere Leben mit dieser Erfahrung und ihren Auswirkungen. Nun kommt es aber öfter als vermutet vor, dass Personen mehrfach Opfer von Gewalt werden. Dennoch ist das Wort dafür nämlich „Reviktimisierung“ recht unbekannt. Wir plädieren daher für die Bekanntmachung dieses Begriffs und erklären euch im Folgenden anhand einer aktuellen Studie auch warum.

Was bedeutet „Reviktimisierung“?

Reviktimisierung bezeichnet das Phänomen, wenn eine Person, die schon einmal Opfer einer Straftat wurde, diese Opfererfahrung in ihrem weiteren Leben nochmals mindestens ein weiteres Mal machen muss.  Wenn man also beurteilen will, ob eine Person reviktimisiert wurde, dann macht es Sinn, dies aus der subjektiven Perspektive des Opfers zu beurteilen. Sprich den Erzählungen des Opfers Glauben zu schenken. Nur wenn wir das tun, dann können wir die Reviktimisierungen auch zählen und bewerten. So bekommen wir ein Bild davon, wie häufig sie tatsächlich vorkommen.

Studie zum Vorkommen von Reviktimisierungen in Österreich

Eine Untersuchung zum Vorkommen von Reviktimisierungen sexualisierter Gewalt an Frauen in Österreich habe ich im Zuge meiner kriminologischen Dissertationsarbeit durchgeführt. 2023 konnte ich die Ergebnisse dazu präsentieren. Im Zuge der Aktenrecherche, die ich in 5 österreichischen Beratungsstellen für Frauen als Opfer von sexualisierter Gewalt durchführte, zeigte sich ein deutliches Bild. Denn: Reviktimisierungen kommen öfter vor, als wir glauben…

Welche Ergebnisse erschrecken, aber nicht verwundern…

In der genannten Studie ergab sich, dass 52% der Opfer von sexualisierter Gewalt Reviktimisierungen erfahren haben. Das ist mehr als die Hälfte aus der Stichprobe…

Doch wer hat ihnen das angetan?

95% der reviktimisierten Frauen wurden Opfer von ihnen bekannten Tätern. 5% der reviktimisierten Frauen wurden Opfer von (zumindest auch einem) Fremdtäter/n.

66% der reviktimisierten Klientinnen erfuhren Gewalt ausschließlich von derselben bekannten Person. 25% der reviktimisierten Frauen erlebten die Gewalt durch verschiedene Täter.

Auch die Intensität der sexualisierten Gewalt wurde untersucht.  70% der Klientinnen haben auch mind. 1x sehr schwere sexualisierte Gewalt (dazu zählten Vergewaltigung, (schwerer) sexueller Missbrauch von Unmündigen & Jugendlichen, sexueller Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person, Zuführen zur Prostitution sowie Zuhälterei) erlebt. 23% der Opfer haben auch mind. 1x schwere sexualisierte Gewalt (darunter fielen versuchte Vergewaltigung, geschlechtliche Nötigung und Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung) erlebt. Das zeigt, dass die Opfer mit schwersten Gewalterfahrung umgehen müssen. Dennoch erkennen viele Opfer lange nicht, dass sie (wiederholt) Gewalt erfahren haben.

Ebenso zeigte sich in der Studie, dass Victim Blaming, also die Zuschreibung von (Mit-)Schuld als Form zu Reviktimisierungen sexualisierter Gewalt beitragen.

Warum wir die Reviktimisierung mehr thematisieren müssen

Durch die Benennung der wiederholten Opfererfahrungen mit einem bestimmten Begriff, den es ja eben mit „Reviktimisierung“ gibt, schaffen wir Sichtbarkeit dafür. Das kann Betroffenen helfen, schneller zu erkennen, dass sie wiederholt Gewalt erfahren haben und sich zu schützen. In der Arbeit mit den Betroffenen kann schneller interveniert werden, um die Betroffenen zu schützen und in Gewaltbeziehungen einzugreifen. Denn schon die Reviktimisierung an sich scheint ein Risikofaktor für weitere Reviktimisierungen zu sein.

Auch auf der politischen Ebene muss es weitere Fördermittel für Opfer von Reviktimisierungen geben. Das kann nur erreicht werden, wenn das Phänomen bekannt und benannt wird.

 

Quelle: Pomberger, „Vom Opfer zum Serienopfer“- Ursachenforschung zur Reviktimisierung von Frauen als Opfer von sexualisierter Gewalt in Österreich“, Dissertation Universität Wien (2023). Die Dissertation kann auf Anfrage gerne zugesendet werden: Mailanfrage

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