Die Leben der Frauen, die umgebracht wurden, waren verschieden. Sie hatten verschiedene Lebenserfahrungen, Berufe, Hobbies, waren in verschiedenen Lebensabschnitten und hatten Träume für ihre Zukunft. Was aber alle gemeinsam hatten, war, dass ihnen diese Chancen und Träume von Männern aus ihrem nächsten Umfeld genommen wurden. Warum ist geschlechtsspezifische Gewalt nicht nur in Österreich ein gravierendes Problem? Wir haben auch mit Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Katharina Beclin vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien über „Intimizide“ gesprochen.
Wir sollten die Begriffe „Frauenmord“, „Femizid“ und „Intimizid“ unterscheiden
Wenn die Medien von einem Frauenmord berichten, ist in jüngster Zeit meist die Rede von einem „Femizid“. Begriffsdefinitionen sind nicht besonders spannend und werden außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses meist wenig beachtet. Es ist aber gerade bei Tötungen von Frauen und deren Einordnung wichtig, zu wissen wovon man spricht. Die Begriffe „Frauenmord“ und „Femizid“ sind aber nicht austauschbar zu verwenden, denn alle Femizide sind Frauenmorde. Umgekehrt sind aber nicht alle Frauenmorde Femizide. Als „Frauenmorde“ werden alle Tötungen von Frauen bezeichnet. Der Begriff „Femizid“ ist spezieller. Als Femizide werden Tötungen von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts bezeichnet. Ein Femizid liegt nach dem gängigen Verständnis vor, wenn ein Mädchen oder eine Frau getötet wird, gerade weil sie weiblich ist. Die Ursachen bzw. Motive für Femizide sind insbesondere Partnerschaftsgewalt, Frauenhass, Morde im vermeintlichen „Namen der Ehre“, Kriegsverbrechen und Menschenhandel können Formen von Femiziden sein. Problematisch ist laut Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Katharina Beclin, dass der Begriff „Femizid“ nicht allgemein gültig definiert ist und somit eher nur als „Schlagwort“ für die Medienberichterstattung geeignet ist. Es bräuchte hier eine trennscharfe und zielorientierte Begriffsdefinition – vor allem für die Vergleichbarkeit von Statistiken und die Entwicklung von Präventionskonzepten. Für Beclin liegt in den meisten öffentlich thematisierten Fällen ein „Intimizid“ vor, also die Ermordung einer Frau durch ihren (wenn euch ehemaligen) Intimpartner. Dieser Begriff hat einen deutlich engeren und schon in der Bezeichnung klar umschriebenen Begriffsumfang. Er gibt auch besser wieder, wo in Österreich die Hauptproblematik liegt.
Frauenmorde/Femizide in Österreich
Heuer ereigneten sich mit Stand 4. Juli 2023 in Österreich bereits 15 Frauenmorde. Tatsächlich ist die Anzahl der Frauenmorde laut Polizeilicher Kriminalstatistik in Österreich seit 2014 ein ständiges Auf und Ab. 2018 markierte dabei in der jüngeren Vergangenheit mit 41 Frauenmorden den traurigen Höhepunkt. Was aber konstant bleibt, ist dass die Frauen weit überwiegend von (Ex-) Partnern, teilweise auch von anderen Familienmitgliedern getötet wurden. Das bestätigt die vielzitierte Aussage: „Zuhause ist es für Frauen am gefährlichsten!“. Ebenso konstant dürfte sein, dass die Tötung als „Intimizid“ oft das Ende von langen Gewalterfahrungen in den Beziehungen dieser Frauen mit den Tätern markiert hat. Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Katharina Beclin merkt auch an, dass Intimizide in Krisenzeiten häufiger auftreten können. In Krisenzeiten kommen Menschen schneller in einen Tunnelblick. Intimizide zeichnen sich nämlich regelmäßig dadurch aus, dass die Täter bei (drohendem) Ende einer Partnerschaft extrem erschüttert– auch in ihrem Selbstbild – und desorientiert sind. Sie verlieren die Fähigkeit Alternativen zu finden, was schließlich in einer „Bankrottreaktion“ – dem Mord enden kann. Dass Menschen in Krisenzeiten meist auch isoliert sind, macht es noch schwieriger sie mit Hilfsangeboten zu erreichen. Die COVID19-Pandemie war eine solche gefährliche Krise. Daher sieht man auch den Anstieg der Frauenmorde im Jahr 2020. Auch die gegenwärtige Teuerungswelle/Inflation dürfte eine solche Krise sein. Beclin weist auch darauf hin, dass die Datensammlung vereinheitlicht werden muss. Es müsste festgelegt werden, wann eine Tötung als Femizid oder Intimizid gilt. Ganz wichtig wäre es auch, versuchte Morde mitzuzählen, da es meist nur dem Zufall geschuldet ist, dass es beim Versuch blieb. Auf diese Weise könnte man auch mehr Informationen zu sinnvollen Präventionsmaßnahmen erlangen.
Europaweite Statistiken sind mit Vorsicht zu interpretieren
Die Interpretation der internationalen Zahlen zu Frauenmorden gestaltet sich schwierig. Schon auf EU-Ebene lassen sich Statistiken nicht sinnvoll vergleichen, da die Zählweisen in den EU-Staaten teils ganz unterschiedlich sind. Meist wird auch keine Unterscheidung zwischen „Frauenmorden“, „Femiziden“ und „Intimiziden“ vorgenommen. Darüber hinaus sind die Delikte häufig von Land zu Land unterschiedlich definiert. Immerhin erfassen 25 EU-Mitgliedstaaten schon Daten zur Opfer-Täter*innen-Beziehung. Es wäre also zum Teil schon möglich, Intimizide als solche extra zu erfassen. Das wäre wichtig, denn auch auf europäischer Ebene machen Intimizide einen sehr hohen Anteil aller Tötungen an Frauen aus. Außerdem wäre es sinnvoll, auch in internationale Statistiken die versuchten Tötungen aufzunehmen. Dass in Österreich in manchen Jahren mehr Frauen einem Mord zum Opfer fielen als Männer, liegt daran, dass sich in Österreich vergleichsweise wenige Morde in der Öffentlichkeit ereignen, weil es zum Beispiel kaum Bandenkriminalität gibt. Männer fallen nämlich eher Morden im öffentlichen Raum zum Opfer als Frauen.
In aller Kürze: Was MUSS sich dringend ändern?
Laut Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Katharina Beclin müssten gesellschaftliche Faktoren, die Intim-Gewalt begünstigen, beseitigt werden. Zum Beispiel muss Wohnraum auch für Frauen leistbar sein. Frauen können gefährliche Beziehungen nicht verlassen, wenn sie sich nach der Wegweisung des Gefährders die Wohnung nicht mehr leisten können. Auch psychisch kranke Männer müssen laut Beclin unterstützt werden. Hier braucht es Bewusstseinsbildung, dass man nicht nur sich selbst, sondern auch die Umwelt gefährdet, wenn man sich keine Hilfe holt. Allgemein gilt, dass geschlechterspezifische Gewalt ein Zeugnis für die tiefsitzenden patriarchalen Strukturen und die mangelnde Garantie der grundlegenden Menschenrechte von Frauen ist. Die gesamte Gesellschaft muss alle Kräfte bündeln, um die patriarchalen Normen und Verhaltensweisen zu hinterfragen, die zu dieser Gewalt beitragen. Dazu braucht es (noch mehr) Bildungsinitiativen und Aufklärungskampagnen, die die Bedeutung der Geschlechtergleichstellung betonen. Dabei müssen Gewalt und ihre Akzeptanz sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Privatleben in jeder Form geächtet werden. Und vor allem: ernst genommen werden. Es darf nicht sein, dass Opfern keine Hilfe geleistet wird, sie sogar teilweise an den Pranger gestellt werden. Deutlich fehlen auch Aufklärungskampagnen über „Victim Blaming“ also die Schuldzuweisung an Opfer. Frauenrechtsorganisationen spielen eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung der Betroffenen und bei der Forderung nach politischem Handeln. Es braucht weitere Förderungen, damit ihre wichtige Arbeit fortgesetzt und ausgedehnt werden kann. Die Regierung, die Strafverfolgungsbehörden, die Zivilgesellschaft und die Öffentlichkeit müssen Hand in Hand arbeiten. Nur durch gemeinsame Anstrengungen und ein entschlossenes Engagement können wir die Sicherheit und Würde von Frauen gewährleisten.
Was wir alle tun können
Egal ob Sie selbst betroffen sind oder sie einer betroffenen Person beistehen möchten:
Wir sind für Sie da! Lassen Sie sich von einer Beratungsstelle in Ihrer Nähe auch gerne anonym und in jedem Fall kostenlos beraten. Sie sind mit Ihren Sorgen, Ihren Ängsten und Problemen nicht allein. Wir haben das Bewusstsein und das Knowhow, um Ihnen beizustehen. Im Alltag gilt: Sprechen Sie frauenfeindliche Verhaltensweisen und Aussagen von anderen Menschen an. Signalisieren Sie, dass Frauenhass und Frauenfeindlichkeit niemals „in Ordnung“, oder gar „lustig“ sind. Klären Sie unwissende Menschen über geschlechtsspezifische Gewalt und Hilfsangebote auf. Helfen Sie dabei, Buben und junge Männer nicht zu „Tätern“ zu erziehen. Sie müssen ganz besonders lernen, dass Mädchen und Frauen gleichberechtigt sind und man ihnen mit Respekt begegnen muss. Buben und Männer müssen Mädchen und Frauen beistehen, ihnen Solidarität zeigen und der patriarchalen Gewalt ein Ende setzen! Dazu müssen sie aber auch lernen zu ihren eigenen Gefühlen und Schwächen zu stehen und sich rechtzeitig Hilfe zu holen, bevor ihnen ihre Probleme über den Kopf wachsen!