Vor einigen Tagen erregte die ORF-Sendung im Zentrum österreichweit Aufmerksamkeit. Und das zurecht. In dieser – eigentlich geplanten – Diskussionsrunde lief einiges schief. Damit meinen wir nicht nur die Gesprächskultur zwischen den Teilnehmenden… aber erstmal der Reihe nach….
Beginnen muss die Aufarbeitung dieser Sendung grundlegend mit der Auswahl der Gäst*innen sowie des Moderators. Diskutiert werden sollen die Vorwürfe gegen die deutsche Band Rammstein. Diese beinhalten von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt gegen Frauen ebenso Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz. Ganz klar, dass dazu zwei junge Frauen eingeladen werden, die drei älteren männlichen Mitdiskutanten und einem männlichen Moderator gegenüberstehen. Ironie Ende. Ausgewogenes Geschlechterverhältnis? Einbindung der Perspektiven von Frauen zu sexualisierter Gewalt? Fehlanzeige. Das prangert auch die Gästin Disoski an, was gänzlich überhört wird. Ganz nach dem Motto: „Männer erklären uns die Welt und das soll auch bitte so bleiben.“ Das ist übrigens ein Beispiel von „Kognitiver Dissonanz“ und beschreibt, dass Menschen sich besonders dagegen wehren und unangenehme Gefühle empfinden, wenn ein Zustand immer schon auf eine Art und Weise gestaltet war und sich dies nun ändern sollte. Von diesem Phänomen scheint also auch der ORF nicht gefeit, ansonsten wären weitere Frauen zur Diskussion eingeladen worden. Es wäre doch so naheliegend zumindest eine Frau aus dem Musikbusiness einzuladen und von ihren Erfahrungen erzählen zu lassen. Wenigstens hätte die Moderation von einer Frau übernommen werden können. So weit so gut, das waren also die unreflektierten, unglücklichen Diskussionsbedingungen dieses Abends. Und unglücklich ging es im Gespräch weiter…
Zugegebenermaßen fällt es nicht leicht, sich die gesamte Sendung anzusehen. Es wird wild durcheinander gesprochen, die Leitung des Gesprächs durch den Moderator fehlt und es scheint, als müssten die eingeladenen zwei Frauen stellvertretend für alle anderen Frauen und Mädchen vor den Bildschirmen – in der Realität, im Alltag – gegen Windmühlen kämpfen. Und diese „Windmühlen“ sitzen personifiziert gegenüber und bagatellisieren schmunzelnd Sexismus und Gewalt gegen Frauen. So z.B. meinte Rudi Dolezal (Regisseur und Musikproduzent des Videos „Engel“ von Rammstein) „Sex, Drugs and Rock ’n‘ Roll“ sei „kein Kindergeburtstag und keine Klosterschule“ und gehöre einfach zur Branche dazu. Dabei verkennt er aber deutlich, dass „Sex“ Konsens voraussetzt, den betäubte und/oder unter Druck gesetzte Frauen naturgemäß schon nicht geben können. Somit liegt Gewalt vor und nichts dazwischen oder anderes. Als die Journalistin Alexandra Stanić forderte die anstehenden Konzerte der Band in Wien als politisches Zeichen der Solidarität mit den Opfern abzusagen, gehen Dolezal augenscheinlich die Argumente (oder das Verständnis?!) aus. „80.000 Tickets, Darling, bitte“ – lautet seine Antwort an Stanić. WOW. Wie offensichtlich kann dieser Diskutant seine minderwertige Sicht gegenüber Frauen zeigen, als diese in einer Diskussion „Darling“ zu nennen?! Das meine lieben Leser*innen ist ein Beispiel des (alltäglichen) Sexismus wie aus dem Bilderbuch. Das erkannte sogar das Boulevardmedium „oe24.at“ und das soll schon was heißen. Schließlich ist es auch verwerflich, dass der Moderator Tarek Leitner hier keine Notwendigkeit sah, einzugreifen. Was schließlich seine Aufgabe gewesen wäre. Die Chance hätte er mehrmals gehabt, nachdem Dolezal mit „Darlings“ gefühlt nur so um sich warf.
Und wenn wir schon bei dem Thema Sexismus sind. Sexismus und ein traditionelles Frauenbild sind laut empirischen Studien Hauptursachen von Gewalt gegen Frauen. Spannend ist in diesem Zusammenhang, wie die Zuschauer*innen der Sendung diese auf Social Media kommentieren. Überwiegend werden die beiden diskutierenden Frauen als „hysterisch“ und „zickig“ betitelt. Ganz selten aber nur die Männer kritisiert, deren Gesprächskultur ebenso nicht vorzeigbar war. Und dazu muss man sagen, dass es klar ist, dass zwei Frauen emotional werden, sich und andere Frauen ungerecht behandelt fühlen, wenn man sie zu dieser Sendung einlädt und sie wieder mit nichts anderem als purem Sexismus und Misogynie konfrontiert werden. Würden Sie dabei ruhig und besonnen bleiben? Aber unsere Gesellschaft leidet an internalisierter Misogynie und solange diese nicht systematisch mit Bildung aufgearbeitet wird, jede Person diese Denkmuster für sich reflektiert, werden Frauen wie Meri Disoski und Alexandra Stanić zu Unrecht auf Social Media und zuhause am Fließentisch „zerrissen“ werden, während über die unangenehme und ebenso nicht weniger emotionale Sprachweise ihrer männlichen Mitdiskutanten hinweggesehen wird. „Boys will be Boys“.
Schlussendlich müssen wir auch noch etwas zur berühmten „Unschuldsvermutung“ in diesen Debatten sagen, die ja sowohl von Dolezal als auch dem Musikjournalisten Samir Köck genannt wurde. Natürlich ist es legitim, die Unschuldsvermutung den Beschuldigten gegenüber als präsentes Argument zu liefern. Meri Disoski hat treffend ergänzt, dass diese Unschuldsvermutung aber auch für die betroffenen Frauen gelte. Ansonsten wirft man ihnen nämlich Verleumdung vor. Disoski spricht ebenso die Glaubwürdigkeit von Männern und Frauen an. Hier schließt sich der Kreis zu „Männer erklären uns die Welt“. Denn wie kann es sein, dass weltweit mehrere hundert Frauen von ihren Gewalt-Erfahrungen erzählen, ein Mann (der Beschuldigte) sagt, es wäre so nicht gewesen und man dann trotzdem ihm glaubt? Abgesehen davon, dass es das naheliegendste für ihn ist, diese Vorwürfe erst einmal abzustreiten. Wir wollen dazu auch noch die Theorie von (unter anderem) dem Soziologen Chris Rojek zum „öffentlichen Ich“ und „privaten Ich“ von Prominenten in den Raum werfen. Kann es sein, dass prominenten Beschuldigten einfach noch mehr geglaubt wird, da man sich an deren öffentlichen Ich orientiert? Fans sich mit diesem „öffentlichen Ich“ oftmals auch identifizieren? Würden sie dem Beschuldigten diese Taten vorwerfen, dann würde das auch einen möglichen Bruch mit ihrer eigenen Identität bedeuten. Das ist unangenehm. Dabei erzeugt das „öffentliche Ich“ ganz schönen Druck auf das „private Ich“ der prominenten Personen und kann zu schockierenden Handlungen und Äußerungen führen, um diesen Druck zu kompensieren.
Ihr seht, diese Debatte geht tief. Das sollte sie auch. Somit lässt sich abschließend feststellen, dass der Diskurs in dieser Gesprächsrunde bei „Im Zentrum“ nicht nur unglücklich gewählt, sondern leider auch ein Spiegel unserer Gesellschaft sein dürfte. Das zeigt uns wiederum, dass es noch viel Arbeit gibt. Dass wir Frauen wie Meri Disoski und Alexandra Stanić, die sich gegen das Patriarchat stellen, den Rücken stärken müssen. Dass wir einen Bildungsauftrag haben. Und dass wir Opfern glauben müssen. Hierzu haben wir auch den größten Kritikpunkt dieser Sendung. Debatte hin oder her, aber wo waren die Kontaktdaten von einschlägigen Beratungsstellen? Wo wurden seitens des ORF in dieser Sendung Opfer ermutigt, sich Beistand zu holen? Es stellt sich schon die Frage, wofür eine solche Sendung gemacht wird, wenn am Ende den Personen, die es tatsächlich betrifft, nicht einmal in Kürze Hilfe angeboten wird.